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IAS – Invasive fremde Arten

Lesezeit: 11 Minuten

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In meiner Jugend gehörte das im Bild zu sehende leicht süßlich riechende Drüsige Springkraut an den Flüssen in Oberfranken zum gewohneten Bild. Jedes Jahr spross es nach der Schneeschmelze aus den Kiesflächen am Ufer und vermehrte sich so rasch, dass es weite Bereiche besiedelte. Sumpfbiber (Nutria) findet man im Osten von Deutschland nicht selten, entkommen oder befreit aus Pelztierzuchten. Sumpfschildkröten sah ich in Berlin beim Beobachten von Erbsenmuscheln in den Teichen im Tiergarten. Fallopia, der japanische Knöterich kommt häufig vor, den Götterbaum kenne ich gut, weil Raupen von Samia cynthia daran fressen, Ambrosia-Pollen ist allergen. Und die Siebenpunkt-Marienkäfer meiner Kindheit werden offenbar auch selten. Dafür gibt es seit ungefähr 15 Jahren in Europa den Asiatischen Marienkäfer.

Wie wir alle merken, gibt es mittlerweile in Deutschland und der EU sehr viele Arten von Pflanzen und Tieren, die ursprünglich nicht dort vorkommen. Die Gründe des Vorkommens sind vielfältig: Als Gartenpflanzen importiert und über Gartenabfälle verbreitet, zu Zierzwecken angepflanzt, als Samen mit Tierfutter eingeschleppt, als Schädling in importiertem Holz mitgekommen, Aquakultur, aus Pelztierfarmen entkommen oder befreit, willkürlich ausgesetzt … die Liste ist lang. Gründe siehe hier.

Die meisten dieser Arten überleben nicht, nur wenige bauen eine stabile Population auf. Einige der Arten werden jedoch invasiv, bedrohen also Fauna und Flora. Die EU hat deshalb Massnahmen beschlossen, gegen die Verbreitung dieser Arten konzertiert vorzugehen – was ja im Grunde auch nicht verkehrt ist. Man erinnere sich nur an die in den Biotopen der von uns gehaltenen Fische eingebürgerte Gambusen zur Mückenbekämpfung, an die allgegenwärtigen Tilapien, an den Nilbarsch und an Harnischwelse in Asien, Agakröten in Australien … kaum ein Vivarianer mag solche Arten dort, wo sie den Lebensraum und die Existenz anderer Tiere bedrohen. Es ist also grundsätzlich nicht schlecht, etwas gegen die Ausbreitung dieser Arten zu unternehmen.

Warum diese Verordnung?
Nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt (CBD) müssen die Vertragsstaaten, also auch die EU, die Einbringung von Arten, die Ökosysteme, Lebensräume oder einheimeische Arten gefährden, verhindern. Dazu gehört die Kontrolle und Beseitigung dieser Arten. Die EU hat deshalb im Herbst 2014 eine Verordnung erlassen, die es zum Ziel hat, die Verhinderung der Ausbreitung der Arten unionsweit zu koordinieren. Diese Verordnung (VERORDNUNG (EU) Nr. 1143/2014 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 22. Oktober 2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten) soll den rechtlichen Rahmen dazu liefern.

Zu dieser Verordnung gehört unter anderem eine Liste (Liste der verbotenen invasiven Arten mit unionsweiter Bedeutung, kurz: “Unionsliste“), die derzeit (Dezember 2015) in vielen Foren heftig diskutiert wird. Diese Liste soll stufenweise erstellt und in gewissen Zeitabständen aktualisiert werden. Da Arten einer taxonomischen Gruppe nach Aussagen der Begründung zur Verordnung oft ähnliche ökologische Erfordernisse haben bzw. ähnliche Ausbreitungsrisiken zeigen, sollte die Aufnahme von taxonomischen Gruppen von Arten (Gattungen, Familien?) erlaubt werden. Bei der Auswahl der Arten sollten bestimmte Kriterien angelegt werden.

  • Auf die Liste sollten ausschließlich Arten kommen, die nachweislich durch menschliche Einwirkung in der EU Fuß fassen konnten.
  • Wenig Sinn macht es nach Ausagen der Experten, wenn man viel Engagement in den Versuch legt, bereits etablierte Arten wieder loszuwerden. Diese sollten ausgenommen bleiben.
  • Auch sollten Arten, die sich aufgrund von Klimaveränderungen langsam neue Gebiete erschließen, ausgenommen bleiben.
  • Die Arbeit soll sich auf diejenigen Arten konzentrieren, deren Ausbreitung möglichst kosteneffizient verhindert, minimiert oder abgeschwächt werden kann.

Ein paar Informationen zur Unionsliste: Die Liste wurde Anfang Dezember 2015 mit der Mehrheit in der EU verabschiedet. Einige Vertreter der EU-Staaten haben aber auch dagegen gestimmt. Es sind in dieser Liste auf jeden Fall Arten enthalten, die auch in unserem Hobby vorhanden sind und es bleibt zu befürchten, dass weitere dazu kommen.


Wirbellose:
Eriocheir sinensis H. Milne Edwards, 1854
Orconectes limosus Rafinesque, 1817
Orconectes virilis Hagen, 1870
Pacifastacus leniusculus Dana, 1852
Procambarus clarkii Girard, 1852
Procambarus sp. (Marmorkrebs)

Wasser- und Sumpfpflanzen:
Myriophyllum aquaticum (Vell.) Verdc.
Ludwigia grandiflora (Michx.) Greuter & Burdet
Ludwigia peploides (Kunth) P.H.
Lysichiton americanus
Hydrocotyle ranunculoides L. f.
Lagarosiphon major
Eichhornia crassipes (Martius) Solms
Cabomba caroliniana Gray

Fische:
Pseudorasbora parva Temminck & Schlegel, 1846
Perccottus glenii Dybowski, 1877

Amphibien:
Lithobates (Ranacatesbeianus Shaw, 1802

Reptilien:
Trachemys scripta Schoepff, 1792

und natürlich weitere Arten, Pflanzen und auch Vögel und Säugetiere, darunter einige kleine Hörnchenarten, Nutria, Nasenbär, Muntiak und Waschbär, die sich bei uns offenbar sehr stark ausbreiten (können). Es sind insgesamt 37 Arten auf die Liste gekommen, aber nicht alle mit nachvollziehbaren Argumenten.

Wer jetzt über diese Liste die Nase rümpft, sollte sich erst einmal in die Lage der EU hineinversetzen. Arten, die bei uns in Deutschland als invasiv eingestuft werden, sind möglicherweise nicht in allen Ländern der EU invasiv und nicht alle Tiere oder Pflanzen breiten sich wiederum in anderen EU-Ländern so aus wie hier in Deutschland. Wohin das allerdings auch führen kann, kennen wir vom Beispiel der Apfelschnecken. Und letztenendes … das ist besonders wichtig … wenn diese Arten nicht irgendwann entkommen wären oder vorsätzlich ausgesetzt worden wären, hätten wir das Problem jetzt nicht …

Wie mit den auf der Liste stehenden Arten zu verfahren ist (oder sein wird), steht unter anderem in der obigen Verordnung. Dort enthält der Artikel 31 Übergangsbestimmungen für nichtgewerbliche Besitzer, also auch uns im Hobby. Darin ist geregelt, ob, unter welchen Bedingungen und wie lange diese Arten gehalten werden dürfen, zum Beispiel bis zum Ende ihrer natürlichen Lebensdauer unter entsprechenden Bedingungen:

  • Tiere wurden bereits vor ihrer Aufnahme in die Unionsliste gehalten;
  • Tiere werden unter Verschluss gehalten,
  • es werden Maßnahmen getroffen, um Fortpflanzung oder ein Entkommen auszuschließen.

“Nichtgewerblichen Besitzern, die die Einhaltung der Bedingungen gemäß Absatz 1 nicht gewährleisten können, darf nicht erlaubt werden, die betreffenden Tiere in ihrem Besitz zu behalten. Die Mitgliedstaaten können diesen Besitzern die Möglichkeit anbieten, ihre Tiere zu übernehmen. In diesem Fall ist dem Tierschutz gebührend Rechnung zu tragen.”

Am 13. Januar 2016 bin ich in dieser Sache als Vetreter des VDA-AK NAT in Bonn zu einem Treffen mit dem BfN und anderen von der Listung betroffenen Gruppen. Dann erfahrt Ihr mehr. Ich werde mich auch an Spezalisten in den VDA-Arbeitskreisen wenden, von denen ich hoffentlich argumentative wiss. fundierte Unterstützung bekommen werde. Einiges dazu gibt es in den nächsten Newslettern und in der VDA-aktuell.

Wenn wir als verantwortungsvolle Vivarianer nicht wollen, dass ganze taxonomische Gruppen (bei den Apfelschnecken war es eine Gattung, Pomacea) verboten werden sollen, müssen wir darauf hinarbeiten, dass nicht weitere Arten ausgesetzt werden. Das kann durch eine Aufklärung geschehen, beim Kauf bzw. Verkauf von Tieren bei Tierbörsen und auch über die lokalen Vereine, Arbeitskreise oder die örtlichen Zoohändler, auf Vereins-Homepages oder in den sozialen Medien.

Für das VDA-Referat NAT
Dr. Stefan K. Hetz

Nachtrag (31.12.2015):
Wie ich aus verschiedenen Quelle hören konnte, ist die von der EU-Kommission verabschiedete Liste in dieser Form nicht vom EU-Parlament verabschiedet worden. Die Argumente dagegen waren im wesentlichen die Argumente, die auch in Vivarianerkreisen diskutiert worden sind: undurchsichtige Einordnung von Arten, unvollständig in einigen Bereichen dafür mit Lücken in anderen. Die Kommission ist aufgefordert, eine neue Liste zu erstellen … man wird sehen.

Nachtrag (05.01.2016):
Der VDA hat die Tagesordnung für das Treffen am 13. Januar 2016 in Bonn erhalten.

Nachtrag (21.03.2016):
Das erste Treffen in Bonn ging vor allem um die Frage, wie die künftige Invasivitätskriterien aussehen werden. Weiterhin wichtig: Die Liste ist keine endgültige Liste, sondern nur ein Anfang! Interessant ist auch, dass beim überwiegenden Teil der Arten unter Einfuhrgrund Tierparks und Tierhaltung genannt werden. Siehe dazu auch den link hier.

Nachtrag (13.07.2016):
Die Liste ist heute, am 13.07.2016 offiziell veröffentlicht worden und tritt nach 20 Tagen in Kraft. Danach gelten die oben und im Gesetz erwähnten Übergangsfristen. Der Text zur Veröffentlichung findet sich hier in einem pdf. Die Liste selbst ist hier zugänglich. Die Liste der Tiere wurde nicht geändert! Weitere Infos finden sich auf dieser Seite. Mögliche Fragen und Antworten zum Gesetz und zur Liste sind in einem pdf zusammengefasst, welches es momentan nur in Englischer Sprache gibt.

Nachtrag (14.07.2016):
Seit heute früh ist der offizielle Text der Deutschen Durchführungsverordnung online. Viel Fragen haben mich in den letzten Stunden erreicht, unter anderem auch die rechtliche Frage der Haftung für die Arten, wenn diese in einem Garten oder Teich leben. Dafür sollte der Halter der Tiere zuständig sein. Eine kurze Definition von “Tierhalter” gibt es hier. Zur Haftung des Tierhalters gibt es hier Informationen. Sie sollten aber erst weitere Informationen abwarten und nicht in Panik verfallen. Wenden Sie sich bei weiteren Fragen bitte direkt an Ihre zuständige Behörde, wenn Sie sich unsicher sind. Die Fragen und Antworten zur EU-Verodnung werden wir hier publizieren, sobald sie in deutscher Sprache verfügbar sind.

Nachtrag (28.07.2016):
Die Durchführungsbestimmung zur Beantragung von Ausnahmegenehmigungen vom Februar 2016 habe ich auch hier bzw. hier verlinkt. Eventuell werde ich hier auch was dazu schreiben, wie eine Beantragung laufen kann und wie dieser Antrag gehandhabt wird.

Update (11.07.2017):
Die Unionsliste wurde offenbar (ich habe die offizielle Information noch nicht erhalten) um 12 Arten auf 47 Arten erweitert (Quelle: NABU). Neu hinzugekommen sind – für uns besonders interessant – einige weitere Wasser- und Sumpfpflanzen. Darunter eine Alternanthera Art, A. philoxeroides, das Alligatorkraut. Ausserdem mit Myriophyllum heterophyllum eine weitere Art der Gattung Myriophylllum und mit Elodea nuttalli eine weitere Wasserpest. Dabei wurde offenbar die Vorschläge im Vorfeld nicht berücksichtigt, die Gruppe der Sonnenbarsche und die Gattung Channa mit auf die Liste zu nehmen.
Die Zusammensetzung des wiss. Forums zur Bewertung der Invasivität der aus EU-Kreisen vorgeschlagenen Arten lässt sich hier einsehen. Für die Bundesrepublik ist dies das Bundesamt für Naturschutz.

Update (26.08.2017)
Krebse: Im August wurden einige Pressemitteilungen zu Procambarus clarkii herausgegeben, nachdem diese Art vermehrt in Berlin auftrat, bei dem sehr feuchten Wetter sogar ausserhalb der Gewässer. Auch auf dem Campus Nord wurden mehrere Tiere gesichtet, die offensichtlich über die Panke nach Berlin Mitte gelangten. Woher diese Tiere letztendlich stammten ist ungeklärt, der Fund von Marmorkrebsen und einem weißen P. clarkii lässt aber vermuten, dass doch (wenige) ausgesetzte Tiere darunter sind.

Channa: Nachdem sehr viele Gerüchte um die Aufnahme der Gattung Channa kursieren, hier mal wieder ein update – obwohl ich nicht gerne spekuliere. Der ursprüngliche Antrag auf die Aufnahme der Arten ist hier zu lesen. Wissenschaftlich abgesicherte Evidenzen für eine Bedrohung aus dem Nachweis einzelner Exemplare abzuleiten grenzt an wissenschaftliches Fehlverhalten, ist aus meiner Sicht zumindest Alarmismus. Einige der als Argumente für die Einordnung als invasive Art zitierten Quellen sind zudem keine referierten Literaturstellen. Die in dem Antrag angegebenen Arten, die für die Aquaristik interessant sind, mögen in den USA gelten, für die EU halte ich eine Marktrelevanz für C. micropeltes oder C. marulius für zweifelhaft. Da einige Channa-Arten (C. striatusC. micropeltes, Hybriden) jedoch auch in der Aquakultur gehalten werden, gibt es dort sicher auch Klärungsbedarf – sonst waren es am Ende wieder die Aquarianer, wenn Tiere auftauchen! Da die EU-Verordnung jedoch auch vorbeugende Massnahmen gegen potenzielle invasive Arten vorsieht, ist eine Aufnahme von einzelnen Arten oder sogar der Gattung Channa grundsätzlich möglich.
Eine kürzliche Nachfrage beim BfN über den Status der Einordnung von Channa ergab, dass das vorliegede Risk Assessment zur Überarbeitung an die Verfasser zurückgegeben wurde. Wann es erneut und in welcher Qualität und mit welchen Arten wiedervorgelegt wird, ist derzeit offen. Ich werde, sobald ich weitere Infos aus erster Hand habe, berichten. Wir vertreten die Meinung, dass man bei solchen strittigen Arten auf regionale Regelungen zurückgreifen sollte.

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