Anwendung der Verordnung (EU) 2016/429 (Tiergesundheitsrechtsakt der EU) und der Tertiärrechtsakte

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Dirk Willem Kleingeld

Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Task-Force Veterinärwesen, Eintrachtweg 19, 30173 Hannover

Hinsichtlich der Vorbeugung und Bekämpfung von gelisteten Tierseuchen und neu auftretenden Tierkrankheiten sind ab dem 21. April 2021 die Verordnung (EU) 2016/429 (Tiergesundheitsrechtsakt der EU / Animal Health Law), im Folgenden AHL genannt, und die entsprechenden Tertiärrechtsakte anzuwenden. Mit dem Geltungsbeginn des AHL werden zahlreiche Richtlinien, Verordnungen und Entscheidungen aufgehoben, darunter die Richtlinie 2006/88/EG. Die letztgenannte Vorschrift enthält Regelungen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Seuchen, die bei Fischen, Krebstieren und Weichtieren auftreten können. Sie wurde mit der Fischseuchenverordnung (FischSeuchV, 2008) in nationales Recht umgesetzt. Da es sich bei dem AHL um eine unmittelbar in allen Mitgliedstaaten anzuwendende EU-Verordnung handelt, bedarf es nationaler Regelungen nur in Bezug auf Anforderungen, die über das EU-Recht hinaus erlassen werden müssen. Ob eine entsprechend angepasste FischSeuchV nach dem 21. April 2021 weiterhin Bestand haben oder eine neue Vorschrift veröffentlicht wird, ist noch offen (Stand 08.02.2021).

Im Folgenden wird auf die Auswirkungen des AHL auf die Haltung von Zierwassertieren bei Aquarianern, gewerbsmäßigen Züchtern sowie im Zoofachhandel eingegangen. Als Wassertiere im Sinne des AHL gelten Fische sowie wasserbewohnende Krebs- und Weichtiere, jeweils in allen Entwicklungsstadien.

Listung und Kategorisierung von Wassertierseuchen

Der mit der Delegierten Verordnung (EU) 2018/1629 geänderte Anhang II des AHL (Auslistung des für Zierfische relevante EUS) führt insgesamt 13 Wassertierseuchen auf, für die seuchenspezifische Bestimmungen zur Vorbeugung und Bekämpfung gelten. Die Durchführungsverordnung (EU) 2018/1882 kategorisiert die im Anhang II AHL gelisteten Tierseuchen in fünf Kategorien (A – E). Für Wassertiere sind drei Seuchenkategorien relevant:

  • Seuche der Kategorie A: eine Seuche, die unmittelbar getilgt werden muss;
  • Seuche der Kategorie C: eine Seuche, für die eine Tilgung erfolgen kann;
  • Seuche der Kategorie E: eine Seuche, die überwacht werden muss.

Wassertierseuchen der Kategorie A oder C gelten gleichzeitig auch als Seuchen der Kategorien D (Handelsrelevanz) und E.

Abbildung 1 – ein an der KHV-I erkrankter Koi (Foto: Dr. Kleingeld, LAVES)Die vorgenannte Durchführungsverordnung führt im Anhang die für die jeweiligen Seuchen empfänglichen Arten und Überträgerarten auf. Für Zierwassertiere sind insbesondere die Weißpünktchenkrankheit der Krebstiere (WSD, Seuche der Kategorie C) und die Koi-Herpesvirus-Infektion der Karpfen (KHV-I, Seuche der Kategorie E, s. Abb. 1) relevant. Für die Viruserkrankung WSD gelten alle Zehnfußkrebse als empfänglich, darunter tropische Zwerggarnelen oder Flusskrebse. Karpfen bzw. Kois gelten als KHV-I empfänglich, während Goldfische und Graskarpfen nunmehr als mögliche Überträgerarten der KHV-I gelistet werden. Erwähnenswert ist auch, dass bestimmte Zierwassertiere u.U. auch als Überträgerart für Forellenseuchen in Frage kommen können, z.B. Goldfische in Bezug auf die EHN (Seuche der Kategorie A) oder Oreochromisarten in Bezug auf die VHS (Seuche der Kategorie C).

Wer ist vom Geltungsbereich des AHL betroffen?

Zierwassertiere gelten als Heimtiere im Sinne des AHL, wenn sie zu privaten Zwecken und nicht zu Handelszwecken gehalten werden. Der Heimtierhalter ist eine natürliche Person, die ein Heimtier hält. Ein Betrieb liegt gemäß dem AHL vor, wenn in einer Räumlichkeit o.ä. vorübergehend oder dauerhaft Tiere gehalten werden, ausgenommen davon sind jedoch u.a. Haushalte, in denen Heimtiere gehalten werden. Daraus folgt, dass nicht nur Betriebe des Zierfischeinzel- oder -großhandels, sondern auch „Kellerzuchten“ entsprechend als Betriebe einzustufen sind. Die Halter dieser Tiere gelten, wie im AHL definiert, als Unternehmer.

Für Unternehmer sieht das AHL weitergehende Anforderungen vor, wie beispielsweise die Registrierung oder Zulassung des Betriebes (Teil IV des AHL). Außerdem sind Vorschriften zur innergemeinschaftlichen Verbringung, Einfuhr aus Drittländern (Eingang in die Union) und Ausfuhr zu beachten.

Dennoch gelten bestimmte Vorschriften des AHL auch für Heimtierhalter wie Hobbyaquarianer. Sie sind verantwortlich für die Gesundheit der gehaltenen Tiere, den umsichtigen und verantwortungsvollen Einsatz von Tierarzneimitteln, die Minimierung des Risikos hinsichtlich der Ausbreitung von Seuchen und für eine gute Tierhaltungspraxis. Sie haben auch eine Mitwirkungspflicht bei der Anwendung der im AHL vorgesehenen Seuchenpräventions- und –bekämpfungsmaßnahmen. Außerdem sind auch Heimtierhalter verpflichtet, den Verdacht auf eine Wassertierseuche der Kategorie A der zuständigen Behörde unverzüglich und den Verdacht auf eine Wassertierseuche der Kategorie C oder E so bald wie möglich zu melden. Eine anormale Sterblichkeit und andere Anzeichen einer schweren Krankheit sind einem Tierarzt zwecks weiterer Abklärung zu melden.

Unternehmer, die künftige Heimtiere verkaufen oder diese gar unentgeltlich abgeben, müssen den künftigen Tierhaltern grundlegende Informationen u.a. über relevante Tierseuchen, Biosicherheitsgrundsätze und die gute Tierhaltungspraxis zur Verfügung stellen. Vergleichbare Vorgaben enthält im Übrigen auch das nationale Tierschutzgesetz.

Auf die erst ab dem 21.04.2026 geltenden neuen Regelungen betreffend Verbringungen von Heimtieren zu nichtkommerziellen Zwecken (Teil VI AHL) wird in diesem Artikel nicht weiter eingegangen.

Zulassung und Registrierung von Betrieben

Gemäß dem AHL müssen Betriebe, die „Wassertiere zu Zierzwecken“ in geschlossenen Systemen halten, grundsätzlich zugelassen werden. Sie sind jedoch von der Verpflichtung einer Zulassung ausgenommen, sofern der Betrieb kein erhebliches Risiko darstellt. Sie müssen in dem Fall allerdings registriert werden. Bei geschlossenen Systemen wird das Ablaufwasser aufbereitet (z.B. durch eine Kläranlage), bevor es in ein offenes Gewässer abgeleitet wird. Anders als für offene Einrichtungen, sieht das bis 20.04.2021 geltende EU-Recht für diese Zierwassertierbetriebe weder einer Genehmigung noch eine Zulassung vor.

Die Delegierte Verordnung (EU) 2020/691 regelt, dass geschlossene Betriebe mit einer Zierwassertierhaltung (Zoofachhandel, Kellerzuchten) eine Zulassung beantragen müssen, wenn aufgrund ihrer Verbringungsmuster erhebliche Seuchenrisiken bestehen. Aus fachlichen Gründen und auch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit bedarf es unbedingt der Klärung, wie diese Vorschrift möglichst deutschlandweit harmonisiert anzuwenden ist. Eine abschließende Prüfung durch das zuständige Bundesministerium steht noch aus (Stand 08.02.2021). Aus fachlicher Sicht scheint es vertretbar, Betriebe, die tropische Zierfische und Zwerggarnelen halten, von der Zulassungspflicht auszunehmen. Tropische Zwerggarnelen sind zwar WSD-empfänglich, werden aber ausschließlich in geschlossenen Systemen gehalten und sind hierzulande in offenen Gewässern nicht überlebensfähig. Ein erhebliches Seuchenrisiko kann auch für Gartenteichfische in Frage gestellt werden, sofern sie in geschlossenen Systemen (wie Gartenteichen) gehalten werden. Das Risiko bei in Gartenteichen gehaltenen Flusskrebsen ist jedoch größer, da diese die Einrichtung über Land verlassen können.

Ist eine Zulassung erforderlich, müssen die Betriebe risikobasiert überwacht werden. Diese Überwachung umfasst Tiergesundheitsbesuche durch geschulte Tierärzte oder andere Spezialisten für Wassertiergesundheit und amtliche Kontrollen der zuständigen Behörde. Die Häufigkeit dieser Kontrollen richtet sich nach dem behördlich festgestellten Risikoniveau und ist in der Delegierten Verordnung (EU) 2020/689 geregelt. Die Delegierte Verordnung (EU) 2020/691 schreibt Biosicherheitsmaßnahmen vor, die zugelassene offene und geschlossene Zierwassertierbetriebe jeweils möglichst einzuhalten haben. Dabei scheint es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit fraglich, ob weitgehende Biosicherheitsmaßnahmen (z.B. Desinfektionspflicht) für Kunden von Einzelhandelsbetrieben gefordert werden sollten.

Ferner enthält die Delegierte Verordnung (EU) 2020/691 Regelungen zu den Aufzeichnungspflichten von Transportunternehmern, die Zierwassertiere befördern.

Verbringung, Eingang in die Union und Ausfuhr

Teil IV AHL enthält Vorschriften zu Verbringungen von Wassertieren innerhalb der Union (zwischen Mitgliedstaaten und innerstaatlich), während Teil V AHL Regelungen in Bezug auf den Eingang von Wassertieren in die Union (Einfuhr aus Drittländern) und zur Ausfuhr in Drittländer umfasst.

Es dürfen nur klinisch unauffällige Wassertiere aus Beständen verbracht werden, in denen keine anormale Sterblichkeit ungeklärter Ursache festgestellt wurde. Weitere Regelungen, z.B. zu Veterinärbescheinigungen und Eigenerklärungen, betreffen Verbringungen in Betriebe, die in Bezug auf Wassertierseuchen der Kategorie C als seuchenfrei gelten, einem Tilgungsprogramm unterliegen oder an einem freiwilligen Überwachungsprogramm teilnehmen. Diese Regelungen werden in der Delegierten Verordnung (EU) 2020/990 näher konkretisiert, sind jedoch für Zierwassertiere kaum relevant. Die vorgenannte Verordnung enthält ferner weitergehende Anforderungen an die Pflichten der Unternehmer (einschließlich Transportunternehmer) hinsichtlich der Beförderung von Zierwassertieren, beispielsweise bzgl. Biosicherheit, Wasserwechsel oder Kennzeichnung von Transportmitteln und -behältern.

Hinsichtlich der Einfuhr von Wassertieren aus Drittländern ist erwähnenswert, dass die Tiere und das Transportwasser gemäß dem AHL in Verbindung mit der Delegierten Verordnung (EU) 2020/692 nach dem Eingang in die Union angemessen zu handhaben sind, um sicherzustellen, dass von ihnen kein Seuchenrisiko ausgeht. Es ist dabei zu gewährleisten, dass die Tiere auf direktem Weg zum Bestimmungsort transportiert werden. Mit dieser Vorschrift wird faktisch die Möglichkeit des „Transshipping“ unterbunden, sofern die Tiere nach Ankunft in der EU nicht direkt zum in der Veterinärbescheinigung angegebenen Bestimmungsort transportiert werden sollten.

Eine Durchführungsverordnung, in der die Drittländer gelistet sind, aus denen der Eingang von Zierwassertierarten möglich ist, liegt zunächst noch als Entwurf vor (Stand 08.02.2021), der aus Sicht des Autors noch überarbeitungsbedürftig ist.

Seuchenbekämpfung

Für Zierwassertiere sind insbesondere die WSD (Seuche der Kategorie C) und die KHV-I (Seuche der Kategorie E) relevant. Für Seuchen der Kategorie C sieht das AHL nur eine optionale Bekämpfung im Rahmen einer Tilgung zur Erlangung der Seuchenfreiheit bzw. im Rahmen eines freiwilligen Überwachungsprogramms vor. Diese Programme sind aus Sicht des Autors für zu Zierzwecken gehaltene tropische Zwerggarnelen aufgrund des geringen Mehrwerts in Verbindung mit den Kosten und der starken Einschränkung der Handelswege eher nicht zielführend.

Die Durchführungsverordnung (EU) 2018/1882 stuft die KHV-I als Seuche der Kategorie E ein. Das AHL sieht für Seuchen der Kategorie E keine Bekämpfung, jedoch weiterhin eine risikobasierte Überwachung von Betrieben vor, die gelistete Arten halten. Mitgliedstaaten können allerdings nationale Maßnahmen für Wassertierseuchen der Kategorie E ergreifen, für die eine Genehmigung der EU-Kommission erforderlich ist. Es ist weiterhin offen (Stand 08.02.2021) und nach Auffassung des Autors eher unwahrscheinlich, dass für Deutschland oder Teile davon entsprechende Maßnahmen zukünftig vorgesehen sein werden.

Weitergehende Anforderungen an die Bekämpfung von Wassertierseuchen der Kategorie A oder C enthalten die Delegierten Verordnungen (EU) 2020/687 und 2020/689.

Schlussbemerkungen

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass eine fristgerechte Anpassung nationaler Regelungen unerlässlich, aber noch nicht abgeschlossen ist (Stand 08.02.2021). Die Konsequenzen in Verbindung mit der Anwendung des AHL sind daher noch nicht vollumfänglich abschätzbar, auch weil noch nicht alle ab dem 21.04.2021 geltenden EU-Tertiärrechtsakte veröffentlicht wurden (z.B. Drittlandlistung).

Für mehr Informationen zu dem Thema wird auf die Homepage des LAVES[1] verwiesen.
[1] https://www.laves.niedersachse…ab-21-04-2021-196524.html

Abbildung 1 – ein an der KHV-I erkrankter Koi (Foto: Dr. Kleingeld, LAVES)
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