Der VDA-Präsident ist ein gefragter Gesprächspartner, wenn es um Fragen zur Geschichte des Webs geht. Im Interview mit VDA-online spricht Jens Crueger über seine Arbeit, die Online-Vivaristik und mögliche zukünftige Entwicklungen.
Lieber Jens, Du arbeitest, neben Deinen anderen vielfältigen Aktivitäten, auch als Web-Historiker. Kannst Du Deine Arbeit ein wenig näher erklären?
Es ist eigentlich eine ganz normale Arbeit als Historiker, allerdings spielen klassische Papierquellen hier kaum eine Rolle. Ich erforsche die Geschichte des Internets mittels digitaler Quellen. Durch Internet-Archive wie The Wayback Machine reise ich zurück in die Vergangenheit.
Was ist Deine Motivation?
Jeder hat im Leben ja so seine Nische, es interessiert mich einfach sehr, wie das Internet sich entwickelt hat. Alte Websites begeistern mich, da dieses Thema noch sehr wenig erforscht ist, vor allem die Periode zwischen 1996 und 2006 ist interessant. Natürlich spielt auch eine gewisse Nostalgie eine Rolle. Es macht Menschen glücklich, wenn sie ihre alten Fotos und Texte auf längst vergessenen Webseiten neu entdecken. Wir alle hinterlassen Spuren im Web, diese Spuren sind ein Kulturerbe für uns und nachfolgende Generationen. Das Web ist so aufgebaut, dass man sich nicht an das Gestern erinnern muss. Es ist eine immerwährende Gegenwärtigkeit, dadurch ist das historische Bewusstsein seitens der Nutzenden sehr gering.
Was ist Deine persönliche Internet-Geschichte?
1997 ging meine Zeit im Web los, ich bin damals mit einer Seite über Molche an den Start gegangen. So etwas gab es 1997 nur im englischsprachigen Bereich, es war ein virtueller Stammtisch für alle Salamander-Fans. Eine Zeit großer Veränderungen: Zum Beispiel hat sich die Zahl der Internetnutzer von 1996 auf 1997 um über 500 Prozent gesteigert, das hat sich natürlich auf allen Webseiten niedergeschlagen.
Welche wichtigen Lektionen lehrt uns die Geschichte des Internets?
Auch große und sehr populäre Dienste konnten früher schnell und rückstandslos verschwinden. Bis Mitte der 2000er gingen Aufstieg und Fall rasend schnell. Wer kennt noch Excite, Altavista und Geocities? Heute sind die Unternehmen klüger, breiter aufgestellt und haben einen langen Atem, Facebook etwa erneuert sich ständig. Viele wissen gar nicht, dass auch WhatsApp und Instagram zu Facebook gehören.
Stichwort Fake News und Hate Speech. Hätte man diese unschönen Nebenwirkungen vermeiden können?
Nur eine sehr strenge Moderation kann helfen. In der Vergangenheit haben sich beispielsweise im Usenet moderierte Gruppen allerdings weit weniger dynamisch und lebendig entwickelt. Ummoderiert sprudelte es mehr, natürlich ist dann auch viel Mist dabei. Heute haben viele das Gefühl, dass immer noch viel zu wenig gefiltert wird, aber das täuscht: Die Menge ist einfach zu enorm. Nur KI kann hier helfen, aber Computer machen (noch) viele Fehler, es braucht oftmals die Nachkontrolle durch den Menschen.
Wie hat sich die Online-Vivaristik-Szene verändert?
Im Bereich Aquaristik und Terraristik wird heute kaum noch geballtes Wissen ins Web gestellt. In den Neunzigern ging es darum, ganz viel Text zu präsentieren, Websites waren oft fast so umfangreich wie Bücher. Viele dieser frühen Informationsseiten sind verschwunden, denn oft hingen diese Seiten an Einzelpersonen und funktionierten nicht als langfristiges Projekt. Ab 2008 hat sich dann vieles langsam auf Facebook verlagert, immer mehr Menschen gingen dorthin und die entsprechenden Facebook-Gruppen wuchsen stetig.
Was liegen die Unterschiede zwischen der Geschichte der Online-Aquaristk und -Terraristik?
Ich habe den Eindruck, dass die Terraristik im frühen Web mehr in Einzelsparten gegliedert war. Die Ansprüche von vielen Reptilien und Amphibien können sich extrem unterschieden, daher viele extrem spezialisierte Webseiten und Gruppen. Die Aquaristik im frühen Web war breiter, zentraler und kommerzieller ausgerichtet. Der Markt für die Aquaristik ist einfach auch größer. Eine Anmerkung zum frühen E-Commerce, 1997 hat die gesamte deutsche Wirtschaft nur 24 Millionen DM in Internet-Werbung investiert. Das waren 400 Prozent mehr als 1996, die Anfänge waren also sehr bescheiden.
Abschlussfrage: Wie sieht die Online-Vivaristik-Szene in zehn Jahren aus?
Also viel mehr User werden es wohl nicht werden. Die Plattformen wie Facebook könnten es aus vermeintlich ethischen Gründen mittelfristig verbieten, sich in den Sozialen Medien über Tierhaltung auszutauschen, der Handel mit Tieren wird ja bereits auf den Plattformen reglementiert. Ich würde heute raten, digitale Projekte im Bereich Tierhaltung nicht innerhalb, sondern außerhalb der Sozialen Medien zu realisieren. Viele vergessen auch, dass Facebook und Co. sich primär an US-Gesetze und Marktstimmungen halten, dort ist die tierethische Debatte wieder eine andere als bei uns. Es bleibt spannend!
Foto: Richard Schmidt