Am 10. Juni 2025 fand eine von der Generaldirektion Umwelt (DG ENV) der Europäischen Kommission organisierte virtuelle Roundtable-Diskussion zum Thema Positivlisten statt. Früh wurde deutlich, dass der Schwerpunkt der Veranstaltung nicht auf der grundsätzlichen Frage lag, ob Positivlisten eingeführt werden sollten, sondern vielmehr darauf, wie eine mögliche Umsetzung konkret gestaltet werden könnte. Kamil Szepanski, Präsidiumssprecher des VDA, nahm über drei Stunden an der Veranstaltung teil. Sein Eindruck: „Schon die Fragestellung der zugrunde liegenden Studie zielte auf die Ausgestaltung von Positivlisten ab. Die Debatte konzentrierte sich somit auf das Wie, nicht auf das Ob.“
Breite Beteiligung – unterschiedliche Perspektiven
Mit über 150 Teilnehmenden aus der EU und dem Vereinigten Königreich war die Veranstaltung gut besucht. Neben Vertreterinnen und Vertretern aus Behörden, Wissenschaft, Tierschutz und Tierhaltung waren auch zahlreiche Interessengruppen mit unterschiedlichen Positionen beteiligt. „Es waren sowohl Befürworter als auch kritische Stimmen vertreten“, berichtet Szepanski. Einige Gruppen, darunter Vertreter der Falknerei und eine französische Organisation, traten mit gut vorbereiteten Argumenten in die Diskussion ein. Andere Beiträge wirkten hingegen eher interessengeleitet oder ließen aus Sicht einiger Beobachter eine differenzierte Betrachtung vermissen. Besonders eindrücklich schilderte ein dänischer Vogelzüchter seine Erfahrungen: „Seit dem Verbot des Vogelimports haben wir über 800 Vogelarten erfolgreich selbst gezüchtet und exportieren sie inzwischen in größerem Umfang. Dieses Modell könne auch auf Reptilien und Amphibien übertragen werden, so sein Vorschlag.“
Begrenzter Austausch – viele Zahlen, teils unklare Datenlage
Die Veranstaltung folgte einem strukturierten Ablauf: Auf etwa 45-minütige Präsentationen folgten kurze Diskussionsrunden von 5 bis 15 Minuten. Diese Zeit erwies sich aus Sicht vieler Teilnehmender als zu knapp für einen vertieften Austausch. Szepanski merkte an: „Der Diskussionsraum war begrenzt, einige Redner nutzten die Zeit intensiv für Wiederholungen, wodurch andere – trotz Wortmeldung – nicht mehr zu Wort kamen.“ Die Präsentationen selbst deckten ein breites Themenspektrum ab, darunter wirtschaftliche Aspekte, Tierwohl, Biodiversität, invasive Arten und gesundheitliche Risiken. Dabei wurden unter anderem Daten von Organisationen wie Pro Wildlife eingebracht – etwa zur Mortalitätsrate beim Wildtiertransport, die mit 75 bis 90 Prozent angegeben wurde. Die Veranstaltenden wiesen jedoch auch darauf hin, dass viele dieser Studien nicht umfassend auf ihre Qualität geprüft worden seien: „Es wurden zahlreiche wissenschaftliche Quellen genutzt, allerdings war die Datenlage nicht in allen Fällen belastbar“, so Szepanski. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm die Aussage: „Tierwohl allein reicht als Argumentationsgrundlage für Positivlisten nicht aus – es muss mit Fragen der Biodiversität oder Gesundheit verknüpft werden.“
Positivlisten aktuell nicht absehbar – dennoch aufmerksam bleiben
Aus Sicht von Szepanski ist eine kurzfristige Einführung von Positivlisten auf EU-Ebene derzeit unwahrscheinlich. Gründe seien unter anderem die hohe Komplexität in der Umsetzung sowie enorme Kosten. „Mehrere Teilnehmende zogen Vergleiche zu anderen komplexen Kontrollsystemen wie etwa im Bereich der Drogen- oder Menschenschmuggelbekämpfung – auch hier gelingt es trotz hohem Aufwand nicht, die Probleme vollständig in den Griff zu bekommen.“ Fachpersonal, Kontrollstrukturen und einheitliche Standards seien aktuell kaum realisierbar. Dennoch plädiert Szepanski dafür, die Entwicklungen weiterhin aufmerksam zu verfolgen: „Auch wenn das Thema Tierwohl momentan wenig politischen Rückenwind bringt, können wir über gesundheitliche Aspekte – insbesondere im Zusammenhang mit Zoonosen – sowie über Biodiversität und eine verbesserte Sachkunde neue Akzente setzen.“
Strategische Ausrichtung: Gesundheit, Biodiversität und Sachkunde
Für Tierhalterverbände ergibt sich daraus eine strategische Neuausrichtung. Künftig sollten gesundheitliche Aspekte und der Beitrag zur Biodiversität stärker betont werden – etwa durch das Engagement von Halterinnen und Haltern in Arterhaltungs- und Bildungsprojekten. „Viele positive Beispiele stammen aus dem Hobbybereich – etwa Ex-situ-Maßnahmen wie NAT in Thannhausen oder Citizen Conservation“, so Szepanski. Ein weiteres Argument sei die fachlich fundierte Zucht standortreiner, kryptischer Arten, die gezielt Haltungshybride vermeidet – ein häufiger Kritikpunkt in der Debatte um Tierhaltung. „Wir brauchen belastbare wissenschaftliche Publikationen, die zeigen, dass solche Zuchten möglich und sinnvoll sind“, betont er.
Kaum Einbindung von Hunde- und Katzenhaltern
Auffällig war auch, dass klassische Heimtiere wie Hunde und Katzen kaum Thema der Diskussion waren. „Vertreterinnen und Vertreter dieser Haltergruppen waren nur sehr begrenzt beteiligt“, stellt Szepanski fest. Dadurch lag der Fokus der Veranstaltung vor allem auf sogenannten „Exoten“, was in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer einseitigen Darstellung führen könne.
Fazit: Der Diskussionsprozess hat begonnen
Die EU-Roundtable-Diskussion hat deutlich gemacht, dass das Thema Positivlisten komplex, politisch sensibel und in vielerlei Hinsicht noch unklar ist. Auch wenn eine kurzfristige Umsetzung derzeit als unwahrscheinlich gilt, bleibt es ein relevantes Thema mit potenziell weitreichenden Folgen. Für Halterorganisationen bedeutet dies: Strategisch neu denken, Schwerpunkte überdenken und mit belastbaren Daten sowie guten Praxisbeispielen die Debatte mitgestalten – bevor die nächste Runde eingeläutet wird.